Junge Turner sind ein eindrucksvoller Beweis dafür, dass ein regelmäßiges Krafttraining
bereits bei Kindern vor der Pubertät ein Muskelwachstum bewirkt.


Krafttraining für Kinder so früh wie möglich


Schon vor der Pubertät profitieren Mädchen und Jungen von einem regelmäßigen Krafttraining: stärkere Muskeln, stabilere Knochen, besseres Körpergefühl, mehr Selbstbewusstsein

Sportwissenschaftler der Hochschulen Saarbrücken, Koblenz-Landau, Frankfurt und Idstein haben ein Buch geschrieben, in dem sie über den aktuellen Stand der Forschung zum Kinderkrafttraining informieren.

In Deutschland lehnen viele Trainer, Sportlehrer und Eltern ein Krafttraining für Kinder immer noch strikt ab. Zum einen wird argumentiert, ein Krafttraining schädige die noch weichen Knorpel und Knochen, insbesondere deren Wachstumsfugen. Zum anderen ist die Auffassung weit verbreitet, der niedrige Anteil an Androgenen (Geschlechtshormonen) im Körper der Mädchen und Jungen sei zu gering, um die Muskeln wachsen zu lassen.

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Mädchen profitieren ebenso wie Jungen von einem regelmäßigen Krafttraining. Zum täglichen Trainingsprogramm dieser 12 Jahre alten Turnerin zählen auch Kräftigungsübungen.

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Übungen mit dem eigenen Körpergewicht erfordern in vielen Fällen nicht nur Kraft, sondern auch ein ausgeprägtes Körpergefühl. Das Foto zeigt eine sogenannte Schulterbrücke zur Kräftigung des großen Gesäßmuskels und der langen tiefen Rückenmuskeln.

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Ein Training mit freien Hanteln verbessert bei Kindern und Jugendlichen die Körperkoordination und kräftigt die Muskulatur. Mit dieser Übung werden die Handgelenk-Muskeln gestärkt.

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Unter fachlicher Anleitung können Kinder und Jugendliche auch an Maschinen trainieren, da sich die Belastung individuell sehr gut dosieren lässt. Dieses Nackendrücken an der sogenannten Multipresse trainiert vor allem Kapuzenmuskel, Schulterblattheber, Deltamuskel und Armstrecker.

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Bei dieser Zugübung im Sitz auf dem Pezziball werden gleichermaßen Körpergefühl und Kraft trainiert. In erster Linie werden Deltamuskel, breiter Rückenmuskel, großer Rundmuskel und die lange tiefe Rückenmuskulatur gekräftigt.

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Das sogenannte Latziehen ist eine gute Alternative zum Klimmzug. Viele Kinder bekommen keinen richtigen Klimmzug hin, beim Latziehen hingegen lässt sich die Belastung exakt dosieren. Trainiert werden vor allem breiter Rückenmuskel, großer Rundmuskel, Trapezmuskel, Deltamuskel, Armbeuger und Oberarmspeichenmuskel.

Solche Ansichten haben Wissenschaftler vor allem in den USA in den vergangenen Jahren in zahlreichen Studien widerlegt. Schon seit 1990 empfehlen amerikanische Sport- und Medizinverbände ein Krafttraining für Kinder und Jugendliche unter fachlicher Anleitung. Dabei stehen keinesfalls ein Höchstmaß an Muskelmasse und das Stemmen möglichst hoher Lasten im Vordergrund, wie das beim Bodybuilding, Kraftdreikampf oder Gewichtheben erwünscht ist. Vielmehr soll ein Krafttraining für Kinder die allgemeine Fitness und das psychische Wohlbefinden steigern, zu besseren Leistungen im Sport führen und Verletzungen vorbeugen.

Den aktuellen Stand der Forschung haben jetzt die Sportwissenschaftler Michael Fröhlich, Jürgen Gießing und Andreas Strack sowie acht Koautoren in einem Buch zusammengefasst. Die dort aufgeführten internationalen Studien zeigen, dass ein Krafttraining für Kinder sowohl mit dem eigenen Körpergewicht, mit Gummibändern, mit freien Hanteln und auch an Maschinen zu beachtlichen Erfolgen führt.
Zwar lehnen Skeptiker freie Hanteln und Maschinen im Kinderbereich ab, da die Belastung zu hoch sei. „Doch gerade mit diesen Geräten sind die Übungen individuell sehr gut dosierbar“, erläutert Dr. Michael Fröhlich vom Sportwissenschaftlichen Institut der Universität des Saarlandes. Übungen mit Gewichtsmanschetten, Hanteln und Sandsäcken sowie an Maschinen belasten untrainierte Kinder weniger als Übungen mit dem eigenen Körpergewicht. Schlecht trainierte Mädchen und Jungen können zum Beispiel Liegestütze, Klimmzüge und Handstände nicht richtig ausführen, weil ihnen die Kraft und das Körpergefühl dafür fehlen. An Maschinen hingegen lassen sich vergleichbare Übungen (Bankdrücken, Lat-Ziehen, Nackendrücken) mit deutlich geringerer Belastung durchführen.

Ein Krafttraining bringt Kindern vor der Pubertät zunächst keinen sichtbaren Zuwachs an Muskelmasse. Dennoch wird ihre Muskulatur deutlich leistungsfähiger. Ohne Training liegt ein Teil regelrecht brach, ist sozusagen verkümmert. Durch regelmäßiges Üben werden alle Teile voll aktiviert. „Ein Krafttraining verbessert zuerst die Koordination innerhalb des Muskels sowie das Zusammenspiel von Muskeln und Nerven“, erläutert Professor Dr. Jürgen Gießing vom Institut für Sportwissenschaft an der Universität Koblenz-Landau. Man spricht von intra- und intermuskulären Anpassungseffekten, die ohne Zunahme des Muskelumfangs zu einem Kraftzuwachs führen.
Eine so trainierte Muskulatur ist bereits schnell und stark genug, einen umknickenden Fuß blitzschnell zu stabilisieren, so dass eine Verletzung verhindert wird.

Professor Dr. Avery Faigenbaum von der Universität Boston (Massachusetts, USA), ein ausgewiesener Spezialist für Kindertraining, berichtet von Kraftzuwächsen bis zu 40 Prozent bei Kindern im Alter von fünf bis zwölf Jahren, die zwei Monate lang ein Krafttraining absolviert haben.
Danach legen auch Kinder bei entsprechendem Training an Muskelmasse zu. Denn nach zwei Monaten Training steigt selbst bei jungen Sportlern vor der Pubertät die Konzentration des Hormons Testosteron an, das für das Muskelwachstum wichtig ist. „Auch bei einer längeren Trainingspause bleibt der Testosteronspiegel bei den Mädchen und Jungen hoch, so dass ihr Muskelumfang schnell wieder steigt, wenn sie das Krafttraining wieder aufnehmen“, sagt Michael Fröhlich. Denn die beim Training erreichten Kraft- und Muskelzuwächse verschwinden in einer Trainingspause wieder.

Die Wissenschaft unterscheidet zwischen verschiedenen Krafteigenschaften. Um im Wettkampf Erfolg zu haben, brauchen Ringer, Judokämpfer oder Ruderer vor allem Kraftausdauer. Beim Sprint hingegen ist in erster Linie Schnellkraft gefragt, und Kugelstoßer, Speer- und Diskuswerfer benötigen hauptsächlich Explosivkraft. Beim Weitsprung etwa ist eine Mischung aus Schnell- und Explosivkraft erforderlich. Grundlage all dieser Kräfte ist die Maximalkraft, die größtmögliche Kraft, die ein Sportler aufbringen kann. Allein diese Erkenntnis rechtfertigt ein gezieltes Krafttraining schon im Kindesalter.

Selbst Kinder, die Leistungssport betreiben, haben in der großen Mehrzahl noch nie mit Hanteln und an Maschinen trainiert. Wenn überhaupt ein Krafttraining durchgeführt wird – in der Regel mit dem eigenen Körpergewicht –, erfolgt es selten systematisch, zeigt eine Erhebung der Deutschen Sporthochschule Köln. Jugendliche im Leistungssportbereich absolvieren zwar häufiger ein regelmäßiges Krafttraining. Doch dieses ist sehr oft falsch angelegt, denn bei wissenschaftlichen Untersuchungen fallen die Athleten durch zu schwache oder unausgewogen ausgebildete Muskeln auf.

Ein altersgerecht durchgeführtes Krafttraining schädigt weder Knochen noch Knorpel und Gelenke. Im Gegenteil, es führt dazu, dass zusätzliche Knochensubstanz aufgebaut wird. Gespannte Muskeln üben auf Knochen, an denen sie über Sehnen verankert sind, starke Zugkräfte aus. Diese mechanischen Reize fördern das Knochenwachstum. Der Mineralgehalt der Knochen und die Knochendichte werden erhöht. Dieser zusätzliche Aufbau ist bei Mädchen im Alter von 11,5 bis 13,5 Jahren und bei Jungen im Alter von 13 bis 15 Jahren am intensivsten. Somit beugt ein frühzeitiges Krafttraining auch dem gefürchteten Knochenschwund im Alter vor, der Osteoporose.
Studien deuten daraufhin, dass ein Krafttraining auch das Bindegewebe und die Sehnen stärkt, wodurch sie weniger verletzungsanfällig sind.

Absolvieren Kinder und Jugendliche nur einmal pro Woche ein Krafttraining, führt das zu keinen nennenswerten Effekten. Dies gilt auch für Erwachsene. Zwei Einheiten wöchentlich reichen jedoch aus, um Kraftausdauer und Kraft zu steigern. Ein Training sollte sechs bis acht Übungen mit jeweils zwei bis drei Sätzen umfassen. Bei Kindern steht zunächst das Kraftausdauertraining im Vordergrund, weshalb leichtere Gewichte gewählt werden, so dass pro Satz 15 bis 20 Wiederholungen möglich sind. Geht es darum, auch Muskelmasse aufzubauen, sollten die verwendeten Gewichte acht bis zehn Wiederholungen pro Satz ermöglichen. In jedem Fall sollten die Bewegungen langsam ausgeführt werden.
„Anfänger sollten zuerst immer die Bauch- und Rückenmuskulatur kräftigen“, erläutert Andreas Strack von der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement in Saarbrücken. Dann folgen Hüft-, Knie- und Schultermuskulatur und zuletzt Arme und Füße. Zwischen den Trainingseinheiten sollte auf jeden Fall ein Ruhetag liegen.

Während Mädchen und Jungen vor der Pubertät auf etwa gleichem Kraftniveau liegen, erreichen die Mädchen danach im Schnitt nur noch zwei Drittel der Kraft- und Schnellkraftleistungen der Jungen. Das gilt gleichermaßen für Untrainierte und Hochtrainierte. Eine Langzeitstudie der Universität Jena hat gezeigt, dass selbst bei normalgewichtigen, sieben bis 14 Jahre alten Kindern der Fettanteil am Gesamtkörpergewicht in den vergangenen 30 Jahren gestiegen ist. Ein Krafttraining verbessert bei Mädchen und Jungen die Körperzusammensetzung: Fett schmilzt, der Muskelanteil nimmt zu. Ein Muskeltraining mit leichten Gewichten wirkt sich sogar positiv auf das Herz-Kreislaufsystem aus. Verletzungen treten beim Krafttraining sehr selten auf und sind in der Regel auf Überlastung und falsche Technik zurückzuführen. Die positiven Aspekte sind indes unbestritten. Ein stabiles Muskelkorsett minimiert das Verletzungsrisiko bei sportlichen Aktivitäten und steigert die körperliche Leistungsfähigkeit. „Ein Krafttraining stärkt zudem das Selbstbewusstsein der Kinder, verändert das Körperbild positiv und kann sogar Angstzustände und Depressionen reduzieren“, sagt Michael Fröhlich.

Buchtipp:
Eine gelungene Mischung aus fundierter wissenschaftlicher Information und praktischer Übungsauswahl präsentiert das neue Buch „Kraft und Krafttraining bei Kindern und Jugendlichen“. Die Sportwissenschaftler Michael Fröhlich, Jürgen Gießing und Andreas Strack berichten über den aktuellen Stand der Forschung. Sie haben zahlreiche Studien gesichtet, die mit guten Argumenten ein Krafttraining schon in frühen Jahren für sinnvoll erachten. Das Buch zeigt zudem auf zahlreichen Fotos Kräftigungsübungen mit und ohne Geräte für Kinder und Jugendliche verschiedenen Alters. Alle Übungen sind ausführlich beschrieben, hinzu kommen differenzierte Trainingspläne. Das Buch ist im Tectum-Verlag erschienen.